Als Biofilm werden Zusammenschlüsse aus Mikroorganismen (z. B. Pilze, Bakterien, Algen, Protozoen) bezeichnet, welche in einer Matrix (Schleim)1 eingebettet sind und sich vorwiegend an Grenzflächen zwischen Gasen und Flüssigkeiten (z. B. Wasseroberfläche von Seen oder Flüssen) oder Festkörpern und Flüssigkeiten (z. B. Rohrwände oder Sand) ansiedeln. Die Schleimschicht wird aus den Abbauprodukten (z. B. Eiweiße und Fette) des eigenen Stoffwechsels gebildet und besteht zum größten Teil aus Wasser2, welches in Verbindung mit den Ausscheidungen der Mikroorganismen eine gelartige Form annimmt. Die Matrix wirkt wie eine Schutzschicht und macht die Bakterien widerstandsfähiger gegenüber externer Faktoren und Veränderungen der Medienzusammensetzung (pH-Wert, Temperatur, Salze, etc.). In Bereichen, die eine Sterilität vorraussetzen (Medizintechnik, Lebensmittelindustrie, Trinkwassertechnik usw.), stellt die hohe Resistenz gegenüber Antibiotika und verschiedener Desinfektionsmittel wie z. B. Chlor3 ein nicht zu unterschätzendes Problem dar.
Biofilme sind praktisch überall in der Natur zu finden4 und befinden sich auch auf und in uns Menschen. Man denke hierbei nur an die Darmbakterien. Bakterien-Biofilmen bestehen meist aus verschiedenen Bakteriengattungen oder verschiedenen Arten der selben Gattung, welche miteinander kommunizieren und sich somit wie ein Vielzeller verhalten.5 Es handelt sich um komplexe Systeme, die symbiotisch, antibiotisch oder auch parasitär miteinander wechselwirken, wodurch die einzelnen Organismen für sich genommen an Bedeutung einbüßen können.
Über verschiedene Pheromone und Ionen tauschen die Organismen Informationen untereinander aus, um unter anderem zu vermeiden, dass innenliegende Organismen, welche keinen direkten Kontakt zum Medium (z. B. Wasser) besitzen, nicht verhungern, wenn die äußere Schicht die Nährstoffe bereits komplett verbrauchen würde6. Dies würde zu einem Absterben der inneren Schichten führen, was wiederum dazu führen würde, dass sich die Matrix auflöst und der gesamte Biofilm nicht mehr an der Oberfläche der Grenzschicht (bei festen Materialien) halten könnte. Der Informationsaustausch, mit dem die Bakterien ihre eigene Populationsgröße messen und regulieren, wird als „quorum sensing“ bezeichnet.7
Wie entstehen Biofilme in Schlauch- und Rohrleitungen?
Neue Rohre oder Schläuche sind herstellungsbedingt immer steril. Dies liegt an den Temperaturen, die bei der Herstellung benötigt werden. Kommt das Medium (z. B. Trinkwasser), mit dem neuen Rohrmaterial in Kontakt, so setzen sich die im Trinkwasser (tausende pro ml)8 befindlichen Mikroorganismen an den Rohrwänden ab. Die Mikroorganismen scheiden Stoffwechselprodukte aus, die einen schleimige Konsistenz aufweisen. Diese werden auch als extrazelluläre polymere Substanzen (EPS)9 bezeichnet. Ist ein ausreichendes Nährstoffangebot vorhanden, so vermehren sich die Organismen durch Teilung und bilden nach Tagen oder Wochen ganze Kolonien von Zellen aus, die gemeinsam in einer Schleimhülle eingebettet sind.
Zunächst bilden sich an vielen unterschiedlichen Stellen der Rohrwand Kolonien von Mikroorganismen, die sich zunächst alle in ihrer Zusammensetzung leicht unterscheiden können. Durch die Vermehrung und Ausbreitung der Kolonien an der Rohrwand, treffen diese irgendwann aufeinander. Wachsen Kolonien zusammen, kommt es aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung zu Symbiosen und/oder Kämpfen zwischen einigen Mikroorganismen. In dieser Phase kommt es zu nachweisbar erhöhten Koloniezahlen im Trinkwasser. Es handelt sich dabei allerdings nur eine Übergangsphase, da zwangsläufig ein Gleichgewicht zwischen den Kolonien entsteht und sich diese gemeinsam organisieren. Über verschiedene Mechanismen kommunizieren die Mikroorganismen untereinander und tauschen sogar Gene aus, um spezielle Eigenschaften zu entwickeln.
Im Laufe einiger Monate ist der Biofilm stabil und befindet sich als dünner Film an der gesamten Innenseite der Rohrwand. Nach dieser Zeit lassen sich nur noch wenige Schwankungen in der Populationsdichte bei Wassertests ausmachen.10 Die Schwankungen sind häufig auf einen erhöhten Nährstoffeintrag oder auf Stagnation (Stillstand) des Mediums (z. B. Wasser) in den Rohrleitungen zurückzuführen.
Welche Problematiken entstehen durch Biofilme
Biofilme zeichnen sich dadurch aus, dass sie unter anderem Stoffe aufspalten können, die die einzelnen Organismen nicht aufspalten könnten, da sie in einer Gemeinschaft andere Enzyme produzieren. Die hohe Resistenz der Biofilme gegenüber Desinfektionsmittel (10 bis 1000 Mal resistenter als vereinzelte Bakterien),1, 3 sorgt für eine aufwändigere Entfernung der Bakterien. Dies ist vor allem in der Medizintechnik ein Problem, da eventuell vorhandene Biofilme auf Implantaten oder Operationsgeräten manchmal nicht vollständig entfernt werden, was zu nachgelagerten Komplikationen für den Patienten führen kann.11
In Schlauch und Rohrleitungen, welche dem Transport von Lebensmitteln oder Wasser (auch Salzwasser) dienen, sind sie allgegenwärtig und befinden sich an den Innenseiten der Rohr- oder Schlauchwände. Hier können die Bakterienfilme unerwünschte Nebeneffekte hervorrufen, indem sie beim Abbau von harmlosen Stoffen aus dem Medium giftige Nebenprodukte ausscheiden. Zudem kommt es häufig zu Korrosion an den Leitungen, da sie Radikale (Ionen) ausscheiden können, die mit den Rohr- und Schlauchwänden reagieren, wodurch sich diese zersetzen. Derselbe Vorgang ist auch bei Kariesbakterien zu beobachten. Die Biofilme sind in der Lage ihr chemisches Milieu weitgehend selbst zu bestimmen, wodurch an der Rohrwand häufig pH-Werte von 4,5 oder auch niedriger herrschen können, wodurch das Material des Rohres zersetzt werden kann.12
Die Biofilme können für Organismen lebensgefährliche Bakterien enthalten, die über das Trinkwasser aufgenommen werden. Hier spielt vor allem die Bakterienkonzentration eine Rolle. Lange stehendes Wasser kann zu einer höheren Konzentration an Krankheitserregern beitragen, da sich die Bakterienkonzentration im Medium stetig erhöht, solange genug Nahrung vorhanden ist. Indem das Medium in Bewegung bleibt und ständig durch neues ersetzt wird, kann eine Reduzierung (durch Verdünnung) der Bakterienkonzentration erzielt werden.
Vorteile der Biofilme
Natürlich haben die Biofilme auch Vorteile. Generell ist zu sagen, dass in Wasserleitungen eine Sterilität nicht immer erwünscht ist. Die Fähigkeit, Stoffe zu verstoffwechseln oder zumindest aufzuspalten, die durch die einzelnen Bakterien nicht aufgespalten werden können, ermöglicht ganz neue Einsatzbereiche und erlaubt es vielleicht irgendwann gezielt bestimmte Medikamente oder andere Stoffe aus Abwässern zu entfernen. Zudem bietet der Bakterienfilm an der Innenseite von Rohrwänden eine schützende Schicht, die vor einer Oxidation des Rohrmaterials durch das Medium bawahren kann.
Generell sind in Biofilme, welche in Bauteilen der Abwasseraufbereitung und in den entsprechenden Rohrleitungen zu finden sind erwünscht, da sie hier bereits zur Wasseraufbereitung beitragen können, indem Stoffe aufgespalten werden, die sich ansonsten nur schwer herausfiltern lassen würden.13
Aktuell (November 2023) gibt es noch keine Möglichkeiten Biofilme gezielt so zu züchten, dass sie zum Abbau bestimmter Substanzen eingesetzt werden können. Obwohl einige Anstrengungen in diesem Bereich unternommen werden, wird es vermutlich noch etwas dauern, bis die komplexen Zusammenhänge der Organismen von Biofilmen weitestgehend verstanden sind und gezielt für definierte Zwecke eingesetzt werden können. Das Problem liegt vorallem an der wenig kontrollierbaren Zusammensetzung der Biofilme, welche durch das Medium, die Temperatur, der pH-Wert, die Fließgeschwindigkeit, sowie der Konzentration bestimmter Stoffe und dem Nährstoffangebot abhängig ist. Beides sind in der Realität häufig schwankende Werte, die eine Vorhersag über die Organismenzusammensetzung im Biofilm erschweren.
Einen Anfang in diesem Bereich machen unter anderem Forschende der University of California in San Diego, welche einen Kunststoff mit integrierten Bakterien erzeugt haben, der über einen 3D-Drucker ausgedruckt werden kann. Die Bakterien könnten für spezielle Anforderungen genetisch angepasst werden, um bestimmte Stoffe wie z. B. Medikamente aus Abwässern abzubauen.
Über eine spezielle Chemikalie können die Bakterien gezielt zerstört werden, wenn diese nicht mehr benötigt werden oder ungewollte Nebeneffekte eintreten.14
Unterscheiden sich Biofilme in Kunststoff- und Metallrohren?
Ja, die Zusammensetzung der Biofilme kann sich bei gleichen Medienbedingungen leicht unterscheiden. Dies liegt an der Oberfläche der Materialien und an den Materialien selbst. Die Oberfläche von Kunststoffrohren ist in der Regel glatter als bei Metallrohren, weshalb Bakterienfilme schlechter an ihnen haften. Außerdem können Metallrohre Ionen abgeben, die sich positiv oder negativ auf die Reproduktion der Bakterien auswirken können. In der Regel sind Biofilme in Kunststoffrohren weniger divers und enthalten weniger Bakterienarten. Beachten Sie hierzu den nächsten Abschnitt „Kunststoffrohre können Nährstoffquelle“ sein. Bei allen Materialien können die Ausscheidungen der Bakterien allerdings mit dem Material reagieren.
In Biofilmen an Kunststoffrohren finden sich häufig folgende Bakterien:
- Pseudomonas aeruginosa
- Staphylococcus aureus
- Escherichia coli
- Enterobacter cloacae
- Salmonella typhi
In Biofilmen an Metallrohren finden sich hingegen zusätzlich häufig folgende Bakterienarten:
- Legionella pneumophila
- Mycobacterium avium complex (MAC)
- Acinetobacter baumannii
- Pseudomonas fluorescens
- Pseudomonas putida
Alle aufgeführten Arten können Krankheiten auslösen, wenn sie in den menschlichen Körper gelangen. Die Einhaltung der Grenzwerte ist überlebenswichtig.
Kunststoffrohre können Nährstoffquelle sein
Kunststoffe bestehen zum größten Teil aus organischen Verbindungen wie etwa Kohlenstoff- und Wasserstoffverbindungen, welche sich durch verschiedene Faktoren wie mechanischer (Abrieb), thermischer oder chemischer Einwirkung aus dem Kunststoff herauslösen können. Bei transparenten Rohren kann zudem durch Photolyse ein zusätzlicher Eintrag ins Medium erfolgen. Dies führt zu einer erhöhten Menge an organischen Substanzen im Medium, welche von den Bakterien verstoffwechselt werden können. Die Menge der organischen Substanzen in einem Medium wird in der Maßeinheit AOC (assimilierbarer organischer Kohlenstoff) angegeben, welcher bei Kunststoffrohren häufig höher ausfallen kann14, als bei Metallrohren, was zu einer Erhöhung der Bakterienpopulationen führen kann.
Die genauen Faktoren, die zur Diffusion (Konzentrationsausgleich) und damit dem Herauslösen des AOC aus den Kunststoffen führen, sind noch nicht vollständig geklärt und unterscheiden sich je nach verwendetem Kunststoff erheblich. Wichtige Faktoren sind die Medienzusammensetzung, da verschiedene Substanzen Kunststoffe auflösen können und die Temperatur. Höhere Temperaturen beschläunigen die chemischen Reaktionen und damit auch die Diffusion des AOC. Außerdem kann ein hoher pH-Wert und Salzwasser ebenfalls die AOC-Bildung beschleunigen.
Wie kann man Biofilme in Rohrleitungen vermeiden?
Biofilme können nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand völlig vermieden werden. Selbst im Trinkwasser, welches hohe Qualitätsanforderungen einhalten muss, gibt es Bakterien. Hier arbeitet man mit Grenzwerten, ab denen die Bakterienkonzentrationen als potenziell physiologisch bedenklich gilt. Die Grenzwerte sind als Maximalwerte anzusehen undmüssen unterschitten werden. Die festgelegten Grenzwerte variieren in Abhängigkeit des aktuellen wissenschaftlichen Standes oder der technischen Möglichkeiten und Standards, sind aber im Allgemeinen als stabil anzusehen.
In Rohrleitungen versucht man die Biofilme und frei im Medium vorhandene Mikroorganismen auf ein Minimum zu reduzieren. Hier spielt vor allem die Verdünnung eine Rolle, indem das Medium ständig fließen muss, um die Mikroorganismen aus den Leitungen auszuspülen. Es gibt die Möglichkeit Antibiotika oder Desinfektionsmittel einzusetzen, allerdings sind die Vorschriften hier sehr hoch, da diese das Trinkwasser verunreinigen können. Zudem sind diese zwar bei frei im Wasser befindlichen Bakterien durchaus wirkungsvoll, zeigen allerdings eine geringe Wirkung bei Biofilmen, welche durch die Schleimschicht geschützt sind.
Als Endverbraucher sollten Sie darauf achten, dass die Wasserleitungen, aus denen Sie Ihr Trinkwasser beziehen, nicht über einen längeren Zeitraum geschlossen bleiben. Wenn Sie aus dem Urlaub zurückkommen, sollten Sie zunächst das Wasser etwa 30 Sekunden (Richtwert) laufen lassen, um die Leitungen einmal durchzuspülen.
Warmes Wasser begünstigt die Bildung von Mikroorganismen, da der Stoffwechsel beschleunigt wird. Gerade im Sommer sollten Sie auch darauf achten, kein Wasser aus Wasserschläuchen zu trinken, wenn diese über einen längeren Zeitraum nicht benutz wurden. Spülen Sie auch hier den Gartenschlauch einmal durch. Vermeiden Sie generell Wasser aus Gartenschläuchen zu konsumieren, da auch andere Stoffe, wie etwa Weichmacher aus dem Schlauchmantel in das Wasser gelangen. Weichmacher stehen im Verdacht, Krebs auszulösen und wie Hormone auf den Körper zu wirken.
Einzelnachweise
- Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH – spektrum.de: Gemeinsam stärker (Video)
- Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB: Wie entstehen Biofilme?
- Lenntech B.V.: Resistenzbildung von Mikroorganismen
- bionity.com: Biofilm
- LAFU GmbH: Biofilme
- Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH – spektrum.de: Gemeinsam stärker
- bionity.com: Quorum sensing
- Welt.de: Ein Glas Wasser enthält zehn Millionen Bakterien
- wasser-wissen.de: extrazelluläre polymere Substanzen (EPS)
- ZW: DVGW-Technologiezentrum Wasser – www.dvgw.de: Hygienische Sicherheit im Verteilungsnetz – Teil 2: Erkennen und Beseitigen der Ursachen mikrobiologischer Güteveränderungen (PDF)
- Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH: Bakterielle Biofilme detektieren und bekämpfen
- bosy-online.de: Biofilmbildung
- Bayerisches Landesamt für Umwelt, S. 6 ff.: Verfahren der biologischen Abwasserreinigung (PDF)
- nature communications – nature.com: Phenotypically complex living materials containing engineered cyanobacteria (englisch)